Offener Brief mit Appell zur Bewältigung der Care-Krise
Mit Blick auf die laufenden Regierungsverhandlungen in der Steiermark möchten wir gemeinsam mit fair sorgen! Steiermark an den Noch-Landeshauptmann Mag. Christopher Drexler sowie an den zukünftigen Landeshauptmann Mario Kunasek, an alle beteiligten Regierungsverhandler*innen und an die Landtagsklubs appellieren, die derzeitige Care-Krise als Chance aufzugreifen, um heute richtungsweisende Entscheidungen für eine fairsorgende Steiermark zu treffen.
Graz, 9.12.2024
Sehr geehrte Damen und Herren,
fair sorgen! ist ein breites, überparteiliches Bündnis von engagierten Menschen und Organisationen. Wir setzen uns für faire Arbeitsbedingungen und qualitativ hochwertige Leistungen im Pflege-, Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich ein. Wir fordern mehr Zeit, Geld und Wertschätzung für alle, die Care-Arbeit leisten, qualitätsvolle öffentliche und gemeinnützige Care-Leistungen und eine gerechte Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit.
Sorge- oder Care-Arbeit ist für uns alle lebensnotwendig, sei es unbezahlt zu Hause oder auch bezahlt in den verschiedenen Sektoren. Diese Tatsache spiegelt sich in der Entlohnung allerdings nicht wider. Besonders betroffen sind dabei Frauen, die in diesen Bereichen einen Großteil der Beschäftigten ausmachen und deutlich weniger verdienen als Beschäftigte in vergleichbaren, männlich dominierten Branchen.
Aufgrund der demographischen Entwicklung prognostizieren Expert:innen, dass wir in Österreich – und somit auch in der Steiermark – auf einen massiven Pflegenotstand hinsteuern. Die Gründe sind seit langem bekannt und absehbar, es sind neben den begonnenen und anstehenden Pensionierungswellen, der zunehmenden Personalnot und der schlechten Bezahlung vor allem die belastenden Arbeitsbedingungen. Wir kennen diese Probleme mittlerweile in den unterschiedlichen Care-Berufen, insbesondere im Gesundheitswesen, in der Altenpflege und in der Kinderbetreuung.
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und demographischen Herausforderungen und der anhaltenden Sorge-Krise fordern viele führende zivilgesellschaftliche Organisationen mutige und zukunftsorientierte Maßnahmen im neuen Regierungsprogramm. In einem gemeinsamen offenen Brief appellieren diese an die Verhandler:innen, zentrale Schritte zur Sicherung der Daseinsvorsorge und zur Stärkung der Wirtschaft zu setzen (siehe Brief).
Diese Forderungen unterstützen auch steirische Organisationen und weisen im Hinblick auf die aktuelle Regierungsbildung auf die Notwendigkeiten und Problemfelder in der Steiermark hin (siehe Forderungen ÖGKV).
Die derzeitige Care-Krise muss als Chance aufgegriffen werden, um heute richtungsweisende Entscheidungen für eine fairsorgende Steiermark zu treffen.
Im Wissen, dass es im Care-Bereich viele Gemeinsamkeiten und Schnittmengen mit Bundeskompetenzen gibt, fordern wir auf Landesebene eine proaktive Herangehensweise unter Berücksichtigung der folgenden Maßnahmen:
Anstellung und Bezahlung während der Ausbildung in Kinderbetreuung, Elementarpädagogik, Sozial- und Pflegeberufen zu gleichen Bedingungen wie bei der Polizei. Diese wichtigen, weil lebensnotwendigen, Ausbildungen müssen für alle Interessierten leistbar sein – auch im zweiten Bildungsweg.
Verbesserungen der Arbeits- und Rahmenbedingungen
- Schrittweise Erhöhung der Löhne für alle Care-Berufe und eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden Regelarbeitszeit
- Einführung eines verbindlichen Betreuungsschlüssels nach internationalen Standards für Elementarbildung und Pflege
- Förderung eines gleichen Zugangs von Menschen mit Migrationshintergrund zu Pflege-, Gesundheits- und sozialberuflichen Ausbildungen; in allen Bereichen - einschließlich der 24-Stunden-Betreuung
- Sicherstellung von regulären, sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Arbeitsverhältnissen und einer ausbildungs- und berufsbegleitenden, fundierten Sprachförderung
- Entlastung des Personals durch Reduzierung des bürokratischen Aufwandes
Personenzentrierte, bedarfsorientierte und leistbare Pflege und Betreuung sind die Voraussetzung für ein würdevolles Leben jeder einzelnen Person und deshalb zu gewährleisten. Sämtliche Angebote müssen der Bevölkerung verständlich kommuniziert und damit zugänglich gemacht werden.
Community Nursing als gut erprobtes, pilotiertes und inzwischen etabliertes Modell muss wohnortnahe zur Verfügung stehen und in die Regelfinanzierung übernommen werden.
In der Kinderbildung und -betreuung muss die Sicherung und der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze gewährleistet sein. Alle Eltern müssen die Möglichkeit haben, ihre Kinder ganztägig qualitätsvoll betreut zu wissen. Ein verpflichtendes 2. Kindergartenjahr ist in allen Gemeinden zu installieren.
Die Förderung innovativer Projekte unter Einbindung der Bevölkerung muss forciert werden, um Arbeitsbedingungen zu verbessern, Menschen in Sorge-Berufen langfristig zu halten und die Attraktivität der Arbeit an und mit Menschen zu erhöhen (z.B. Caring Communities).
Für die fair sorgen! Aktionsgruppe Graz/Steiermark
Dipl.-Ing.in Johanna Marcher
Für den Grazer Frauenrat
Gertrude Peinhaupt, Anna Majcan BSc
Für die Katholische Frauenbewegung Steiermark
Lydia Lieskonig, Mag.a Maria Hacker-Ostermann
Für den Pflegestützpunkt
Karin Schuster, MA